Humanisierung für die Katz?

Von 1974 bis 1989 wurde uns in Deutschland die „Humanisierung des Arbeitslebens“ dank staatlichen Programms verordnet. Weitere Programme folgten. Im Jahr 2007 erhob der Deutsche Gewerkschaftsbund erstmals den „DGB-Index Gute Arbeit“. Dabei teilte eine 100 Punkte Skala die Arbeit von abhängig Beschäftigten ein in 34% schlechte Arbeit, 54% mittelmäßige Arbeit und 12% gute Arbeit. Unerheblich der Bewertungsmerkmale: erschreckend! 33 Jahre Humanisierung für die Katz? Was war schiefgelaufen?

 „Maßnahmen der menschengerechten Gestaltung der Arbeit“ gehören nach §2 des deutschen Arbeitsschutzgesetzes zu den Maßnahmen des Arbeitsschutzes. Wie geht es dir, lieber Leser, bei dieser Formulierung? Mir schnürt sie den Hals zu. „Menschengerechte Gestaltung“ (oder Haltung?), Humanisierung. Begriffe, die anmuten, es handele sich um eine Technik zur Optimierung der Maschine Mensch.

Humanisierung in der Organisationsentwicklung und beim Human Leadership allein kann also nicht wirksam sein. Was hilft aber dann? Und wobei?

Achte auf Deine Gedanken, denn sie werden Worte. 
Achte auf Deine Worte, denn sie werden Handlungen.

Talmud

Mit gutem Gefühl schneller vor die Wand?

Beschäftigen wir uns mit den Begriffen Organisationsentwicklung und Führung. Wie selbstverständlich nutzen wir Nomen für prozesshaftes Handeln und nehmen ihnen so die Dynamik, die sie so unbedingt brauchen. Eine Organisation ist aber keine statische Sache, sondern etwas immerwährend Prozesshaftes. Gewöhnlich sorgen Führungskräfte für den stabilen Ablauf bewährter Prozesse. Um diese Prozesse zu gesteigerter organisationaler Effektivität zu führen, wird Organisationsentwicklung angewendet.

Laut P. Rowlandson ist Organisationsentwicklung eine „Interventionsstrategie, welche gruppendynamische Prozesse verwendet, die sich auf die Organisationskultur konzentriert, um geplante Veränderungen herbeizuführen“.

Doch worum handelt es sich bei diesen geplanten Veränderungen? Schlagen wir die Brücke zwischen Humanisierung und Organisationsentwicklung, entsteht der Eindruck, dass oft mit besserem Verhalten ein falsches Ziel erreicht werden soll. Ohne den Blick auf das Ich, die Gesellschaft und die ganze Welt, ohne den Blick auf Selbstorganisation, Ganzheit und Sinn fahren wir mit gutem Gefühl schneller vor die Wand.

Vorbei die Zeiten, bei denen erfolgreiche Organisationen ihren Fokus nur mehr auf den wirtschaftlichen Erfolg  durch das Auspressen von Humankapital und Ressourcen legen konnten. Die Folgen sind uns allen längst bekannt. Sie reichen von harmlosen Stresssymptomen, über Burnout, von dem sich der Betroffene oftmals nie wieder zu einhundert Prozent erholt bis hin zu verheerenden ökologischen Auswirkungen und Wirtschaftsflüchtlingswellen, welche uns in den nächsten Jahren vermehrt bevorstehen werden.

Aussteigen, aber wie?

Organisationsentwicklung und Human Leadership: zwei Seiten ein und derselben Medaille.

Im Artikel „Unternehmenskultur“ führte ich aus, dass die Unternehmenskultur das Gewissen und der Schatten einer Organisation sind. Ebendiese Unternehmenskultur versetzt Organisationen in die Lage, neue Räume zu öffnen. Räume dafür, dass dieser lebendige Organismus Organisation auch in der Lage ist, das Außen positiv zu verändern. Und damit wirtschaftlich überaus erfolgreich sein kann (vgl. Laloux „Reinventing Organisations“). Schauen wir uns die beiden Instrumente Organisationsentwicklung und Human Leadership genauer an.

Achtsame Führung

Ende April 2016 fand in Berlin die erste Mind Conference, eine Achtsamkeits-Messe, statt, welche bereits nach wenigen Tagen ausgebucht war. Mittlerweile findest die Messe sehr erfolgreich jährlich statt.

Ob das Thema „achtsame Führung“ schnell durch eine neue Modeerscheinung abgelöst wird, wird sich zeigen. Fest steht allerdings, dass es eine starke Bewegung ist. Achtsame Führung bedeutet zum einen, das eigene Ich besser kennen zu lernen, sich selbst, sein Fühlen und Handeln eigenständig zu reflektieren. Nur wer mit sich selbst verantwortlich umgeht, kann auch mit anderen wahrhaft verantwortlich umgehen. Zum anderen bedeutet es aber auch, erst einmal wertfrei anzunehmen, was gerade da ist. Ohne in gewohnte Kategorien von „gut“ oder „schlecht“ zu verfallen. Dies benötigt Einsicht und Übung.

 „Natürlich muss ich als Verantwortlicher irgendwann einschätzen, ob das Handeln meiner Mitarbeiter zielführend ist oder nicht. Aber nicht sofort, nicht ohne in eine Öffnung gegangen zu sein. Diese nicht-bewertende Präsenz erfordert Mut“, sagt Günther Panke, Gründer des „Mindful Leadership Institute“ mit Sitz in Stuttgart. Und Ludger Ramme, Hauptgeschäftsführer der United Leaders Association hat für sich erkannt: „Ich brauche am Morgen eine halbe Stunde ohne Smartphone und Computer und mache Yoga oder einen Waldspaziergang, um Kraft für den Tag zu sammeln.“ Auch das gehört zum nachhaltigen Umgang mit sich selber und dem Spagat zwischen ständig erreichbar sein müssen und einfach mal abschalten dürfen.

Resilienz

Das Stichwort, welches in aller Munde ist, lautet Resilienz. Führungskräfte benötigen Disziplin und die Fähigkeit, in Krisensituationen ruhig und besonnen zu handeln. Dabei muss es nicht immer die große Krise sein. Dies wird besonders deutlich, wenn wir uns verdeutlichen, dass Führungskräfte besonders oft als Stoßdämpfer zwischen verschiedenen Anspruchsgruppen agieren und permanent Führungsintervention zuführen müssen, um den bestehenden organisatorischen Zustand konstant zu halten und dafür zu sorgen, dass sich  bewährte Prozesse eben nicht willkürlich verändern.

Widerstandsfähigkeit ist in diesen Situationen mehr als Gold wert, sichert sie doch nachhaltig Gesundheit, Vitalität und Leistungsfähigkeit.

Studien aus den USA und aus Deutschland belegen, dass Führungskräfte in der Regel über eine wesentlich höhere Resilienz als ihre Mitarbeiter verfügen. Allerdings profitieren Organisationen um ein Vielfaches, wenn Führungskräfte und Mitarbeiter gleichermaßen resilient sind. Der erste Schritt der Resilienz ist oftmals das Erkennen des engeren und weiteren Sinns der Organisation. Dessen, was durch die Organisation in die Welt will und in der Welt wirken will.

Neuer Anspruch

Dieser neue Anspruch, sinnvolle Organisationsgestaltung Wirklichkeit werden zu lassen passt hervorragend zur Generation Y, welche zurzeit den Nachwuchs in der Unternehmenswelt  stellt. Die im Zeitraum 1985 bis 2000 Geborenen sind  exzellent ausgebildet und weltläufig, aber auch in beruflich unberechenbaren Zeiten aufgewachsen, digital geprägt und verlangen somit nach veränderter Führung.

Der Bildungs- und Jugendforscher Klaus Hurrelmann ist davon überzeugt, dass „ihre Vertreter gegen starre Hierarchien sind, Ausgleich und Sinnerfüllung brauchen und aus der digitalen Welt direktes Feedback gewohnt sind.“ Und so bedeutet die Gerneration Y der Generation der alten  Führungskräfte, die autoritär über sie verfügen möchte, dass sie ihre Andersartigkeit mit Achtsamkeit gewürdigt sehen will. Laut Hurrelmann sind die wichtigsten Kompetenzen von erfolgreichen Führungskräften „neugierig sein, was im Team für einzelne Stärken stecken, sensibel sein, genau zuzuhören, was der einzelne Mitarbeiter wirklich will, stetig Rückmeldung geben und Leistungen würdigen.“

Die Hauptbotschaft muss sein: „Bitte denkt mit, wir wollen gemeinsam etwas schaffen und wenn das gelingt, werden auch alle beteiligt.“ Führungskräfte tun gut daran, den einzelnen Mitarbeiter in seiner Ganzheit wahrzunehmen, ihm Raum zu geben, Verantwortung zu übertragen und sich dabei weniger als Spitze der Hierarchie anzusehen denn als Coach eines Teams (vgl. Laloux).

Unabdingbare  Merkmale von Führungskräften sind dabei Empathievermögen,  Entschlossenheit und Bescheidenheit. Führungskräfte, die die Bedürfnisse ihrer Mit-Arbeiter voranstellen und gemeinsame Erfolge betonen. Durch ständiges Feedback aus den sozialen Medien muss sich für die Generation Y und nachfolgende auch die Feedbackkultur ändern. Halbjährliche Feedbackgespräche genügen nicht mehr. Die neuen Mitarbeiter verlangen nach ständigem Zuhören  und Reflektieren.

Management by Sokrates – Immer vormittags ging Sokrates auf den Marktplatz, sprach die Leute an, stellte ihnen Fragen und hakte so lange nach, bis sie ihre Begriffe, Meinungen und festgefahrenen Vorstellungen ändern mussten. Konsequenterweise gipfelte seine Weisheit in dem berühmten Satz: „Ich weiß, dass ich nichts weiß.“ Damit wollte er die Menschen dazu bringen, immer neue Wege zur Erkenntnis, zur Wahrheit und zum richtigen Handeln zu suchen, statt einfach fertige Denkschablonen zu übernehmen.

Der Mensch ist ein Gefühls-Tier

Dabei dürfen Gefühle am Arbeitsplatz kein Tabu mehr sein. Längst wissen wir, dass das Zeitalter des Homo oeconomicus  der Vergangenheit angehört. Der Mensch wird zu 80% von seinen Emotionen gesteuert und Führungskräfte tun gut daran, dieses Potential nicht zu verschwenden, sondern die dafür aufzuwendende Zeit als Investment in ihre Organisation zu betrachten. Ein Investment wertvoller, als es jede externe Unternehmensberatung sein kann.

Powell-Methode: Der ehemalige General und US-Außenminister ging jeden Tag zur selben Uhrzeit dieselbe Strecke in seinem Unternehmen ab. In aller Regel traf er dann „zufällig“ auf Mitarbeiter, die etwas mit ihm zu besprechen hatten.

Mutig sein und Alternativen anschauen

Sprach oben Günther Panke schon einmal vom Mut des Unternehmers, braucht es auch Mut, sich weitere Alternativen in der Organisationsentwicklung anzuschauen.

Wurde Holocracy noch vor wenigen Jahren in die Ecke der Esoterik gestellt, ist sie längst in das Bewusstsein vieler fortschrittlicher Organisationen eingezogen. Mut erfordert die Beschäftigung mit Holocracy deswegen, weil sie radikal ist, weil sie das ganze Unternehmen und nicht nur die Ebene der Selbstorganisation von Teamarbeit in den einzelnen Abteilungen umfasst, weil sie rollen- und prozessorientiert ist. Holocracy bedeutet, dass Führung und Entscheidungsfindung komplett von selbst organisierten Teams getragen wird. Dabei entsteht Selbstorganisation nicht durch den Verzicht auf Führung. Selbstorganisation ist hier vielmehr ein organisierter und strukturierter Lernprozess. (vgl Laloux). Holocracy funktioniert nur, wenn Haltung und Handeln Hand in Hand gehen, wenn Verbundenheit kultiviert statt eindimensional kommuniziert wird und es emotionale Visionen statt Ziele gibt.

Systemische Ganzheit

Noch ein Stück mutiger muss sich der Unternehmer zeigen, der sich mit systemdynamischer Organisationsentwicklung beschäftigen will. (vgl. Klaus Grochowiak und Joachim Castella „Systemdynamische Organisationsberatung“)

Die systemdynamische Organisationsentwicklung geht davon aus, dass auch Organisationen ein Unbewusstes haben. Kenntnis über blinde Flecke löst Störungen und entfaltet neue Energien.

Qualitative Sprünge setzten einen qualitativen Wechsel der Instrumente voraus. Die systemdynamische Organisationsberatung stellt einen grundlegenden Qualitätswechsel dar, insofern sie ein vollkommen anderes Beobachtungs-, Diagnose- und Lösungsinstrumentarium im Ansatz hat. Organisationen werden nicht mehr nur als hierarchisch gegliederte Einheiten betrachtet, sondern als ein Netz unterschiedlicher, gleich wichtiger Knotenpunkte.  Die alte Pyramide gibt sich als komplexes Zusammenspiel miteinander in Wechselwirkung stehender Elemente zu erkennen.

Systemische Organisationberater sehen ein Unternehmen nicht als Summe seiner Teile, sondern als systemische Ganzheit, welche auf einer tieferen Ebene das ökonomische und interaktionelle Funktionieren des Systems beeinflussen. Besteht ein Ungleichgewicht in der Organisation, welches vielleicht nur unbewusst erspürt wird, will das System wieder „ins Lot“. Und das um jeden Preis. Wird die Energie des „wieder ins Lot Wollens“ ignoriert, zeigen sich für die Organisation schädliche Dynamiken, wie z.B. Machtkämpfe, mangelnder Erfolg oder schlimmstenfalls gar ein Konkurs. Dabei ist zu beobachten, dass sich die Führungsebene oft nicht als Teil des Problems definiert. Spannend ist, dass bereits die Neigung zur Negierung durch die Führungsebene ein deutlicher Hinweis auf eine systemische Störung ist.

Systeme aber sind Ganzheiten, die alle ihre Elemente einschließen. Durch eine Positionierung aller beteiligter Elemente im Raum und dadurch ein in Bezug stellen entfaltet sich Komplexität und es zeigen sich die vorherrschenden Dynamiken. Der erfahrene Organisationsaufsteller stellt die gute Ordnung wieder her und unterstützt durch seine fachliche Kompetenz die systemdynamische Organisationsentwicklung.

Neugierig geworden? Dann sprich mich gerne an. Ich begleite kompetent deine systemdynamische Organisationsentwicklung, denn oftmals ist mehr vom Selben nicht genug.

Tanja
Tanja

Expertin für Autonomie und praktische Freiheit
Mutter zweier perfekten Unperfektionistinnen (20 + 26 Jahre)
Pädagogin und Philosophin und immer wieder Lernende
Seit über 20 Jahren: Organisationsberaterin, Coach für Führungskräfte, Expertin für KVP.